U. v. Beckerath,
22.6.49.,
Ihr
Brief vom 18. 6., eingegangen heute.
Lieber Herr Dr. Runge,
wenn Sie auf fuer West-Berlin
bestimmte Briefe den Sektor setzen, dann geht der Brief ueber die
Luftbruecke, auch ohne dass Sie "Luftpost" darauf schreiben und
Zusatzmarken verwenden. Ganz neue Bestimmung der Berliner Post. (Oder einer
anderen Stelle - - weiss nicht.)
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Da haben Sie sich ein grosses Verdienst erworben, als Sie
Rittershausen so eindringlich ersuchten, sein Licht nicht laenger unter den
Scheffel zu stellen und das geld-theoretische Buch unserer Zeit zu
schreiben.
R. schickte mir vor ein paar
Tagen einige Nummern der in New York von Walter E. Spahr herausgegebenen
"Monetary Notes". Daraus war zu ersehen, wie gross in den USA die
Abneigung gegen das Zwangskurs-Papiergeld ist, und wie gross die Sympathien
fuer eine Goldmuenz-Umlaufswaehrung sind, wie weit aber die Leute alle davon
entfernt sind zu erkennen, wie man die Nachteile der alten
Goldmuenz-Umlaufswaehrung mit ihrer Einloesungspflicht vermeidet und die - -
gewiss nicht zu leugnenden - - Vorteile einer Papiergeld-Umlaufswaehrung nicht
aufgibt. Alle Autoren, darunter sehr intelligente Leute, bemerken nicht,
dass der Zwangskurs des Papiergeldes die Wurzel des Uebels ist, bemerken auch
nicht, dass bei einer richtig konstruierten Waehrung ein ploetzlich
entstehendes Misstrauen in das Papiergeld voellig unschaedlich ist,
vielleicht sogar waehrend der kurzen Zeit, die es nur dauern kann, allerlei
Vorteile hervorbringt.
Die Autoren bemerken auch
nicht, dass das freie Emissionsrecht bei Abwesenheit von Zwangskurs nie zu
einer Inflation fuehren kann, andererseits aber ein hoechst einfaches und
wirksames Mittel ist, eine Deflation zu verhindern.
Die Aufklaerung koennte Rittershausen liefern, wenn er die Vier
Gesetzentwuerfe im Rahmen einer Uebersetzung seines "Anderen Systems"
dem angelsaechsischen Sprachgebiet zugaengig machte. Beknien Sie ihn weiter und
nehmen Sie sich die im Evangelium des Lukas, Kap. 18, Vers 5 gelobte Witwe zum
Muster, die allein durch Quasseln zuletzt sogar einen hohen Justizbeamten
herumkriegte.
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Was Ihre Bemuehung anlangt, dem Bargeld dadurch einen hoeheren
Wert d.i. eine hoehere Kaufkraft zu verleihen, dass ein Teil der Steuern in bar
bezahlt werden muss, so werden Sie so lange wenig Beachtung finden, als Sie das
Ausmass der Wertsteigerung durch die von Ihnen vorgeschlagenen
Massnahmen nicht glaubhaft machen. Ihre Aufgabe gehoert durchaus der
mathematischen Oekonomik an, moegen auch die Konstanten der hier anzuwendenden
Gleichung zur Zeit noch unbekannt sein. Existieren tut die Gleichung aber.
Sie muessten darlegen:
a) Um
wie viel steigt - - unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen - - voraussichtlich
die Kaufkraft des Geldes, wenn l.) 10%,
2.) 20%, 3.) 30%, etc. in bar gezahlt werden muessen, und
b)
welches "Strafgeld" ist fuer jeden %-Satz erforderlich, um die
Zahlung in bar mit wenigstens jenem %-Satz zu erzwingen?
Sie werden verstehen, dass kein Finanzminister und kein
Abgeordneter bereit sein wird, Ihre Vorschlaege zu verwirklichen, wenn er nicht
darueber Gewissheit hat, oder ihm solche Schaetzungen vorliegen,
dass die Wahrscheinlichkeit der behaupteten Wirkung ihm gross genug erscheint.
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Die Menge des umlaufenden Geldes, gleichgueltig, welche Form es
hat, ist durch folgendes begrenzt:
a)
durch die Menge der in den Laeden (das Wort in einem ganz weiten Sinne
genommen) zum sofortigen Verkauf bereit liegenden Gegenstaende taeglichen
Bedarfs,
b)
durch die Summe der Dienstleistungen, welche Handwerker, Friseure, etc. sofort
zuleisten imstande sind bzw. bereit sind,
c)
durch die Summe der sofort faelligen bzw. nach dem Willen des Schuldners sofort
zahlbaren Schulden, einschliesslich Loehne und Steuern,
d)
durch den Betrag, welchen die Empfangsberechtigten nach a.), b.) und c.) bereit
sind als Vorauszahlung zu leisten.
Wenn ich's in einem Buch darzustellen haette, dann werde ich
die vier Item noch genauer darstellen und die Begriffe mehr praezisieren. Aber,
Sie wissen ja auch so, was ich meine.
Vorstehendes bezeichnet die obere Grenze; das
volkswirtschaftliche Optimum liegt ein wenig darunter.
Die obere Grenze ist gleich a + b + c + d. Wenn das richtig
ist, dann ist es von monetaer geringer Bedeutung, wie viel von der
vorbezeichneten Summe, bzw. dem darunter liegenden, wirklich vorhandenen
Betrag, in Form von koerperlichen Zahlungsmitteln vorhanden ist.
Die Herren, die mit Ihnen ueber Ihr Projekt gesprochen haben,
die hatten alle ein Ahnung davon, konnten es aber im Augenblick der Besprechung
nicht so abstrakt ausdruecken, auch waren ihre Ahnungen durch die modernen,
monetaeren Vorurteile getruebt.
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Etwas, was scheinbar mit Ihrer Idee nichts zu tun hat, aber in
Wirklichkeit doch damit zusammenhaengt:
Vor einigen Jahrzehnten da kam der belgische Grossindustrielle Solvay
auf die Idee, dass sich saemtliche Zahlungen in der Volkswirtschaft durch
Verrechnung bewirken liessen, wenn
a)
Alle "Wirtschafts-Subjekte" (kein schoener Ausdruck - - ist aber nun
mal eingefuehrt) ein Bankkonto haben,
b)
Alle Banken an ein Clearinghaus angeschlossen sind.
Solvay wusste nicht, dass die deutschen Theoretiker, aber auch andere, z.B. Greene, das lange vor
ihm dargelegt hatten: er war durch seine
Beobachtungen der oesterreichischen Postsparkasse darauf gekommen, wie
er selbst in seinem Hauptwerk (mir verbrannt) angibt. Solvay war so von seiner
Idee erfuellt, dass er ein grosses "Solvay-Institut" in Bruessel
gruendete, dessen Hauptaufgabe sein sollte, die "Verrechnungs-Idee"
in moeglichst weite Kreise zu tragen und sie immer fester zu begruenden. Das
Institut besteht noch heute und gibt noch heute eine durchaus lesenswerte
Zeitschrift heraus.
Das Ziel Solvay's war ein loebliches: Er wollte das Volk von
der Menge des umlaufenden Geldes unabhaengig machen. Eigentlich war er dem
Grundgedanken der Vier Gesetzentwuerfe nahe, es fehlten ihm aber doch ein paar
fuer die Praxis ausschlaggebende Gesichtspunkte; vor allem hatte er nicht
genuegend bedacht, dass es volkswirtschaftlich nicht zweckmaessig ist, fuer den
Kleinverkehr die typisierten Zahlungsmittel auszuschliessen, und dass ein Vater
doch in der Lage sein muss, seinem Toechterchen zu sagen: So, Mausi, hier hast
du 10 Pf. - - geh mal zum Haendler und kauf dir dafuer eine Zuckerstange! Die
Mausi hat ja noch kein Verrechnungsbuch. Solvay meinte aber, sowie typisierte
Zahlungsmittel da sind, koennen damit Missbraeuche getrieben werden, kann damit
inflationiert werden, kann auch Deflation getrieben werden. Da irrte er, und
wenn er die Vier Gesetzentwuerfe gekannt haette, so haette er das auch
eingesehen; daemlich war er nicht.
Wenn Solvay recht hat, dann sind ueber die baren
Umlaufsmittel andere Betrachtungen anzustellen, als Sie sie angestellt haben.
Das Normal-Umsatzmittel ist dann ueberhaupt die Verrechnung und nicht das
Bargeld, letzteres Wort im ueblichen Sinne genommen. Ob die Verrechnung durch
Verrechnungsschecks geschieht oder - - wie Solvay moechte - - durch Zuschreiben
und Abschreiben auf einem Buch, das ist grundsaetzlich nicht wichtig, praktisch
allerdings sehr wichtig insofern als die
Praxis der Technik des Zu- und Abschreibens Grenzen setzt, die Solvay zwar
gesehen aber in ihrer Bedeutung unterschaetzt hat.
Wenn man - - wie die Verfasser der Vier Gesetzentwuerfe - - der Meinung ist, dass die Verrechnung die
volkswirtschaftlich richtige Form des Zahlungsverkehrs ist, dann hat man das
Problem zu loesen: Wie gestaltet man fuer den Kleinverkehr das Instrument der
bargeldlosen Verrechnung so aus, dass es
a.) ein typisiertes Instrument
ist,
b.) doch ein
Verrechnungsinstrument ist, also keiner Deckung - - das Wort im Sinne
von 1913 genommen - - bedarf.
Da der Verrechnungs-Anhaenger gleichzeitig einer ist, der die
Freiheit des Volkes und des Einzelnen nicht mehr einschraenken will als noetig
ist, so erlaubt er natuerlich auch den Tauschverkehr, vor allem auch den von
Guetern oder Dienstleistungen oder Schuldenquittungen gegen typisierte
Edelmetall-Barren, wenn sie als Muenzen (evtl. sogar privat gepraegte
Medaillen) umlaufsfaehig sind.
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Sie verstehen, dass ich die vorstehend angedeuteten
Gedankengaenge erst dann fuer unrichtig halten kann, wenn mir die Unrichtigkeit
durch Gruende oder durch Tatsachen dargetan wird. Nicht als Grund
anerkennen kann ich den Umstand, dass der und der grosse "Fachmann"
ganz andere Meinungen hat, oder dass das Gesetz die Anwendung der
Gedankengaenge verbietet. Wuerde mir dergleichen entgegengehalten, so werde ich
sagen: Der grosse Fachmann war hier falsch eingestellt, und das Gesetz
muss geaendert werden.
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In letzter Linie ist die monetaere Organisation eines Landes
bedingt durch die in diesem Lande geltenden Volksrechte. Das oben angedeutete
System ist bei der Unfaehigkeit unserer Generation, monetaere Probleme
durchzudenken (ich berufe mich auf den taeglich produzierten und mit
Anerkennung gelesenen Zeitungsquatsch), durch Vernunftgruende nicht zu
realisieren. Vielleicht aber erkaempfen es sich eines Tages diejenigen,
die es muede sind, die Dummheit und die Unwissenheit der Regierungen in
geldtheoretischen und dadurch auch "geld-praktischen" Angelegenheiten
fuer sich massgebend sein zu lassen. Vielleicht sind es zunaechst einzelne
Arbeitergruppen, die keine Lust haben, arbeitslos zu sein, bloss weil da irgendein
Hornochs in der Regierung ihrer Industrie die Lohnzahlungsmittel verweigert.
Diese Gruppen werden dann vielleicht eine eigene Verrechnungsbank aufmachen,
vor allen anderen Gruppen fuerchterlich beschimpft werden, aber - - weil sie bewaffnet sind - - den Teufel danach
fragen.
So stelle ich mir die Loesung des Geldproblems vor - - falls
die Atombomben uns leben lassen.
Mit
bestem Gruss
Ihr
gez.:
U. v. Beckerath.
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First published in: Ulrich von
Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe,
Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 439 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Pages 1346-1347.